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Über eine bekannte Angebotsplattform für antiquarische Bücher erreichte uns kürzlich eine Anfrage. Der Kunde interessierte sich für einen Brief von Ernst Barlach. Wie immer hatten wir den Text transkribiert, die historischen Hintergründe des Briefes ebenso wie die Vergleichspreise der letzten, sagen wir, 20 Jahre, gründlich recherchiert und den Brief samt Inhalt und Adressaten so ausführlich wie möglich (und nötig) beschrieben. Nun war ein Foto gewünscht. Natürlich kamen wir diesem Wunsch gern nach, denn auch wenn jedes Foto eines Unikates dieses Unikat dem Mainstream etwas näher bringt, ist es verständlich, dass niemand die Katze im Sack kaufen möchte. Auf unsere umgehende Beantwortung der Bildanfrage flatterte uns ein Angebot ins Haus:
Sehr geehrte Frau van Benthem,
herzlichen Dank. Ich habe mir den Brief angesehen und wäre durchaus an einem Erwerb interessiert, halte aber den Preis für deutlich überhöht. So ist beispielsweise bei Ketterer ein Brief Barlachs an den Freund Leo Kestenberg inkl. beigelegtem Druck und Schreiben von Friedrich Dross für 759,- Euro versteigert worden.
Der von Ihnen angebotene Brief ist dagegen nicht nur deutlich kürzer, sondern auch relativ unpersönlich (ohne namentliche Anrede) an einen Geschäftspartner gerichtet. Ich könnte mir daher einen Betrag von maximal 500,- Euro als Kaufpreis (inklusive versichertem Versand) vorstellen. Falls dies für Sie von Interesse ist, lassen Sie es mich gerne wissen.
Mit freundlichen Grüßen aus XX
Unseren Barlach-Brief bieten wir nach reiflicher Überlegung für 1500 Euro an und halten diesen Preis keinesfalls für überzogen. Im Gegenteil. Noch bevor ich ob solcher Unverschämtheit schon frühmorgens an die Decke ging, ging mein Mann ins Büro, blätterte seine Recherchen durch und antwortete folgendermaßen:
Sehr geehrter Herr XX,
herzlichen Dank. Ich halte Ihr Angebot für deutlich unterschätzt. So ist beispielweise bei Stargardt (2011, Star 697, 514) ein Brief Ernst Barlachs an den Maler Hans Ralfs in der Heilanstalt Neustadt, Holstein (Güstrow 20.XII.1930, 2 S.) für 4800,- CHF versteigert worden. Ich könnte mir daher einen Betrag von mindestens 4000.- Euro als Kaufpreis (inklusive versichertem Versand) vorstellen. Falls dies für Sie von Interesse ist, lassen Sie es mich gerne wissen.
Mit freundlichen Grüßen vom Starnberger See
Man könnte nun des längeren und breiteren über die Unterschiede zwischen Auktions- und Antiquariatspreisen räsonieren. Man könnte in Rechnung stellen, dass der Ketterer-Preis aus dem Jahr 2003 stammt, also 14 Jahre alt ist, während der Stargardt-Preis aus dem Jahr 2011 näher an die Gegenwart heranreicht. Man könnte den Zuschlagspreisen Aufgelder und Mehrwertsteuern hinzurechnen, wodurch man bei 18 oder mehr Prozent Aufgeld und 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Autographen (7 Prozent bei Büchern) schon in andere Regionen vordringt. Man kann die in einer Auktion suggerierte sensationelle Einmaligkeit des punktuellen Angebotes in Betracht ziehen, ganz ähnlich wie auf dem durch die Republik tourenden Hamburger Fischmarkt, auf dem Fisch Fiete immer noch einen drauf tut, „und noch einen! Und noch einen!“. Wir können auch ganz einfach nur darauf verweisen, dass eben manchmal per Zufall im selben Auktionssaal zwei oder mehrere Interessenten sitzen, die sich gegenseitig hochbieten, und manchmal per Zufall gar niemand der avisierten Interessenten erscheint und ein zufällig Glücklicher, der aus einem ganz anderen Kaufinteresse im Saal sitzt, mit einer glücklichen Zuckung in letzter Sekunde die Hand hebt und den Barlach, wie bei Ketterer, vor dem einsamen Rückgang in die Magazine rettet. Man könnte es aber auch lassen.
Wenn ich jetzt gleich Bratwürstchen für unseren Grillabend hole, werde ich nicht wie üblich „Servus und Grüß Gott“ sagen, sondern ich werde ein Angebot unterbreiten:
Liebe Frau Vogerl,
Ich habe mir ihr Angebot in der Wursttheke angesehen und wäre durchaus an einem Erwerb ausgewählter Stücke interessiert, halte aber den Preis für deutlich überhöht. So ist beispielsweise bei Aldi kürzlich ein fränkischer Bratwurstverschnitt inkl. beigelegter Zusatzstoffliste für 2,98 Euro verkauft worden.
Die von Ihnen angebotene Bratwurst ist dagegen nicht nur deutlich kürzer, sondern auch weniger reichhaltig (ohne namentliche Zusatzstoffe). Ich könnte mir daher einen Betrag von maximal 1,25 Euro als Kaufpreis (inklusive Einkaufstüte) vorstellen. Falls dies für Sie von Interesse ist, lassen Sie es mich gerne wissen.
Mit freundlichen Grüßen aus Tutzing, Ihre
Barbara van Benthem
Mal schauen, was sie sagt.
(Foto: Nevine Marchiset)
Mitglied im Verband Deutscher Antiquare e.V. und in der
International League of Antiquarian Booksellers (ILAB).