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"Und die Moral von der Geschicht,
In Zweifelsfällen kaufe nicht!"
Die Sammelfreudigkeit wird sehr oft getrübt durch die Furcht vor Fälschungen. Diese Furcht kann sich zu einer Art Psychose auswachsen, sodaß man schließlich in jedem "besseren" Stück eine Fälschung wittert. Aber jeder Sammler, auf welchem Gebiete es auch sein mag, wird von diesem unangenehmen Gefühl begleitet. Der Autographensammler schneidet dabei vielleicht noch am besten ab. Am schlimmsten steht es bei den Gemälden, nicht nur, weil in der Regel bedeutend höhere Werte in Frage kommen, sondern, weil Kopien so täuschend angefertigt werden können, dass sie vom Original kaum zu unterscheiden sind. Es ist z. B. bekannt, dass etwa dreimal so viel Corots existieren, als der Künstler jemals zu malen vermochte.
Den Autographensammler mag es vielleicht beruhigen zu vernehmen, dass mir in meiner 53jährigen Sammlertätigkeit kaum 10 nachgewiesene Fälschungen durch die Hand gegangen sind.
Bekanntlich gab es in früherer Zeit sozusagen berufsmäßige Fälscher von Autographen. Ich will sie der Reihe nach nur kurz skizzieren, weil sie, wenigstens zum Teil, bereits ausführlich in dem trefflichen Werke von E. Wolbe "Handbuch für Autographensammler" behandelt werden; wer sich dafür interessiert - und es lohnt sich, dass man sich dafür sehr interessiert - der möge das betreffende Kapitel in diesem Buche nachlesen.
Der größte und auch der naivste Fälscher war ein Franzose, Vrain-Lucas, aus dessen Werkstatt eine große Anzahl lächerlich anmutender Briefe hervorging, z. B. solche von Sappho an Phaon, Sokrates an Euklid, Alexander der Große an Aristoteles, Caesar an Vercingetorix, der Apostel Matthäus an Maria Magdalena, Lazarus an Petrus usw., alle in altertümlichem Französisch und auf gewöhnlichem Papier. Diesem außergewöhnlichen Betrüger gelang es sogar, diese Stücke einem damals berühmten Gelehrten, dem Mathematiker Chasles, für bedeutende Summen zu verkaufen. Heute würde sich kein Anfänger durch solche Spielereien täuschen lassen.
Ein Fälscher viel gefährlicherer Art war der französische Schriftsteller Feuillet de Conches (1798-1887). Dieser hat französische Briefe aus der Louis XIV.- und Louis XVI.-Zeit in großen Mengen gefälscht, Lafontaine, Racine, Boileau, dann namentlich Marie Antoinette, und zwar so täuschend, dass sie noch heute nicht alle aus dem Markt entfernt werden konnten. Ich selbst habe ein solches Stück von Marie Antoinette besessen, dann habe ich vor wenigen Jahren eine gefälschte Fabel von Lafontaine und in jüngster Zeit einen Brief von Boileau gesehen, beide so täuschend nachgeahmt, dass die Fälschung lange Zeit nicht erkannt wurde. Es wird immer noch daran gearbeitet, solche Stücke aus dem Markte zu nehmen, sobald sie erkannt werden, aber Feuillet hat so fleißig gearbeitet, dass es noch lange dauern kann, bis der Markt gesäubert ist. Beim Kauf von Autographen der genannten Personen empfiehlt es sich, besonders sorgfältig zu sein. Feuillet hat die Fälschungen vorgenommen, um sich das nötige Geld für die Ergänzung seiner eigenen reichhaltigen Autographensammlung durch echte, wertvolle Stücke zu verschaffen. Er hat also einen eigentlichen Veredelungsverkehr eingeleitet.
Ein plumper Fälscher war dagegen ein Engländer namens Ireland, der Shakespeare-Schriftstücke anfertigte, die aber kaum eine Ähnlichkeit mit der Handschrift Shakespeares zeigten. Bekanntlich existieren von Shakespeare nur 6 Unterschriften, die sich alle in englischen Archiven befinden.
Auch Luther wurde früher gefälscht. Ich kann mich erinnern, dass in meinen Knabenjahren, also vor ungefähr 60 Jahren, meinem Vater eine Bibel mit handschriftlicher Eintragung Luthers zum Kaufe angeboten wurde. Die Schrift war eine Fälschung. Diese Art zu fälschen wurde dann in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf breiterer Basis von einem gewissen Hermann Kyrie1eis übernommen. Dieser benutzte, wie der frühere unbekannte Fälscher, Drucke der Reformationszeit, um Widmungen und Sprüche hineinzuschreiben. In den letzten Jahrzehnten ist mir keine Lutherfälschung mehr zu Gesicht gekommen. Es ist also anzunehmen, dass auch die Kyrieleis'schen Fälschungen, die in raffiniertester Weise vorbereitet und ausgeführt wurden, vom Markt verschwunden sind.
Nicht weniger gefährlich sind die Schiller-Fälschungen eines gewissen Gerstenbergk aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Dieser Fälscher hatte sich in Stil und Schrift Schillers so eingeübt, dass er Briefe und Gedichte entwerfen und flüssig schreiben konnte. Diese Fälschungen werfen ihre Schatten zuweilen noch in die heutige Zeit. Vor wenigen Jahren habe ich ein Gedicht "Der Ritter von Toggenburg" erworben. Gleich bei seinem Erscheinen hatte ich Verdacht. Ich untersuchte das Stück nach allen Richtungen, ohne Beruhigung zu finden. Schließlich habe ich es an die Staatsbibliothek Berlin gesandt, die mir bereitwilligst mitteilte, dass es sich um eine Fälschung handle. Nun ist ja bekannt, dass von Schillers Hand nur drei oder vier Gedichte, und zwar nicht die bekannteren, sowie einige Ausschnitte aus "Wilhelm Teil", "Don Carlos", "Phaedra" und dem "Malteser"-Fragment existieren. Alle anderen Gedicht-Manuskripte wurden von Schiller leider nach der Drucklegung verbrannt. Der Autographensammler wird sich also in der Hauptsache mit Schiller-Briefen begnügen müssen und Gedichten mit Misstrauen begegnen. Von Goethe ist bedeutend mehr Dichterisches erhalten, namentlich in den Archiven (Goethe-Schiller-Archiv in Weimar). Die Zeichnungen Goethes sind auch genau zu untersuchen und am besten an das Goethe-Nationalmuseum in Weimar zur Prüfung zu senden.
Das sind in der Hauptsache die früheren professionellen Fälscher, die heute so ziemlich aufgehört haben. Wie ich später zeigen werde, verfügen die heutigen Fälscher über viel einfachere Mittel.
Es ist klar, dass meistens eigenhändige Briefe oder Schriftstücke von hohem Wert gefälscht werden; an modernen Stücken geht der Fälscher meist mit Verachtung vorbei, bei diesen rentiert seine Arbeit nicht. Schriftstücke mit bloßer Unterschrift werden auch nur selten gefälscht, es müsste sich denn schon um ganz außerordentliche Namen handeln. Es lohnt sich nicht, einen Text von fremder Hand zu fälschen, wobei man auf Schrift, Orthographie, Papier usw. achten muss; da fälscht man lieber gleich ganz eigenhändige Briefe.
Eine gewisse Gefahr droht dem Sammler auch durch Täuschungen. Sehr viele berühmte Persönlichkeiten aller Zeiten haben Namens-Doppelgänger und es gilt aufzupassen, dass man nicht auf das falsche Geleise kommt. Zur Prüfung dienen namentlich die Faksimile-Werke. Durch die Vergleichung wird man bald die nötige Aufklärung finden. Schwieriger ist es aber, wenn keine Faksimiles zur Hand sind. Da kann man nur aus dem Inhalt des Briefes Schlüsse ziehen, zum Beispiel wenn die betreffende Persönlichkeit im Briefe eigene Werke erwähnt. Ich selbst bin einmal in dieser Beziehung hereingefallen. Es wurde mir ein Brief von Ulrich von Hutten von privater Seite angeboten. Der Brief war deutsch und nicht, wie gewöhnlich, lateinisch geschrieben. Die deutsche Schrift zeigte allerdings bedeutende Unterschiede von der lateinischen. Nun fand ich aber in den Literaturgeschichten von Dr. C. Busse und von Robert Koenig unter dem Bilde Huttens die deutsche Unterschrift in Faksimile, die genau mit meinem Stücke übereinstimmte. Ich habe mich dabei beruhigt, aber einige Jahre hernach wurde ich durch ein anderes Faksimile-Werk belehrt, dass es sich um die Schrift von Huttens Vater handle. Da ich erst vor zwei Jahren ein ganz ähnliches Stück von Ulrichs Vater sah, das auch für ein echtes angeboten wurde, heißt es aufpassen.
Die Kataloge der Händler enthalten zuweilen selten gesehene Faksimiles. Diese Faksimiles sollte man ausschneiden und registrieren, oder wenn die Kataloge nicht beschädigt werden sollen, so numeriere man dieselben und trage die Seitenzahl des Faksimiles ein. Auf diese Weise kommt man zu einer interessanten Faksimile-Sammlung, die oft gute Dienste leistet.
Sehr schwierig empfinde ich immer die Untersuchung von Musikmanuskripten, denn was im Handel erscheint, sind meistens Fragmente aus einem Musikstück ohne Unterschrift. Wenn dann noch Worte fehlen, so steht man oft vor einem Rätsel. Von den Musikhandschriften der großen Meister gibt es ja allerdings reichlich Faksimiles, allein z. B. bei Bach und Mozart und auch bei Andern zeigt die Notenschrift große Abweichungen. Oft gibt es im gleichen Musikstück eine flüchtige und eine sorgfältige Schrift mit erheblichen Abweichungen. Auch im Laufe der Zeit können sich die Notenhandschriften verändern. Bach hat im höhern Alter in Folge seines Augenleidens vielfach die Hilfe seiner Frau, die eine sehr ähnliche Handschrift, wie ihr Mann hatte, bei der Anfertigung der Manuskripte benützt. Ein Merkmal mag sein, dass bei Bach die Noten-Balken spitz und dolchartig und oft gerundet verlaufen, während sie bei seiner Frau gleichmäßig und gerade sind. Auch wird als Merkmal oft das Wasserzeichen im Papier (ein Halbmond) hervorgehoben. Aber könnte das gleiche Papier nicht auch von seiner Frau verwendet worden sein? Bei Musikmanuskripten sollte man in Zweifelsfällen Fachleute konsultieren, die meist aus dem Texte herausfinden können, woher das Stück stammt.
Das Urteil der Händler, die eine große Erfahrung haben, bietet in den meisten Fällen eine gute Garantie.
In Folge der hochentwickelten Reproduktions-Technik erwachsen dem Sammler oft Schwierigkeiten. Es können heute Faksimiles angefertigt werden, die oft auch für ein geübtes Auge kaum mit Sicherheit bestimmt werden können. Vor einigen Jahren habe ich ein solches Faksimile eines Goetheschen Gedichtes erhalten, das - obschon ich wusste, dass es ein Faksimile war - kaum von einem echten Stück unterschieden werden konnte. Es war ein technisches Meisterstück. Wenn ein solches Stück in 10 oder 15 Jahren in eine Auktion gelangt, so wäre es nicht unmöglich, dass es zu einem hohen Preis einen Liebhaber finden könnte. Solche Stücke sollten mit einem Faksimile-Stempel versehen werden.
Unlängst erhielt ich ein eigentümliches Stück aus der Reformationszeit. Es war ein Schreiben Oecolampads und auf der Rückseite ein Antwortfragment von Zwingli. Es wurde dazu bemerkt, dass Zwingli wohl die leere Rückseite des Oecolampad-Briefes dazu benützt habe, um seine Antwort zu skizzieren. Ein plausibles Argument. Dieses "kostbare" Stück war ziemlich beschmutzt und befleckt, um die Echtheit vorzutäuschen. Ich habe ihm aber gleich misstraut und dann auf unserer Universitätsbibliothek festgestellt, dass das Stück einfach ein Facsimile und einem Reformationswerke entnommen war. Ein anderer Fall der Täuschung war ein Stück des holländischen Dichters Vondel. Ich hatte dieses Albumblatt über ein Jahr in meiner Sammlung und hielt es für vollkommen echt, bis mich ein Holländer darauf aufmerksam machte, dass gerade dieses Gedicht Vondels in Biographien des Dichters als Faksimile aufgenommen werde. Auf der Rückseite des Blattes war ein Tintenklecks von genau der Farbe des Manuskriptes. Als ich die Chlorprobe (von der später berichtet werden soll) machte, verschwand der Klecks. Es war also Tinte, als ich aber dann noch zur Vorsicht die Probe an einer kleinen Stelle des Manuskriptes vornahm, blieb die Schrift bestehen. Also ein Faksimile und eine ganz raffinierte Täuschung. Ich habe hier einige Beispiele "aus dem Leben" geschildert, in der Annahme, dass konkrete Beispiele am belehrendsten wirken.
Und nun die Hauptfrage! Wie schützt man sich möglichst gut gegen Fälschungen und Täuschungen? Ein ganz bewährtes, allgemein gültiges Mittel gibt es leider noch nicht. Außer den Faksimile-Werken, die einen genauen Vergleich erlauben, achte man in erster Linie auf Papier, Tinte, Inhalt des Stückes, Orthographie, usw. Alles muss mit dem Zeitalter des Schriftstücks im Einklang stehen, dann natürlich auch das Datum des Stückes, das in die Lebenszeit des Schreibenden fallen muss, Wasserzeichen usw., und schließlich die obenerwähnte Chlorprobe. Diese letztere Probe wird nur angewendet werden, wenn alle andern Proben nicht zum Ziele führen, denn es ist immer kein kleiner Entschluss, an ein altes, wertvolles und wohlerhaltenes Manuskript mit einer ätzenden Flüssigkeit heranzugehen. Man wird diese Probe auch nur mit der größten Vorsicht vornehmen, in der Weise, dass man eine Schreibfeder in eine Chlorflüssigkeit eintaucht und damit z. B. einen i-Punkt oder Schlußpunkt befeuchtet. [Anm.: Chlorkali bleibt der fettigen Druckerschwärze und der Lithographie gegenüber unwirksam, während es die Tinte angreift. (Wolbe, Handbuch für Autographensammler).] Das genügt oft, um Klarheit zu schaffen.
Ich habe in dieser Beziehung noch eine weitere Erfahrung. Vor etwa einem Jahr wurde mir ein Fragment des französischen Revolutions-Dichters André Chenier zugesandt. Die Schrift stimmte, und doch misstraute ich dem Stücke. In der Annahme, es könnte sich um ein Faksimile handeln, habe ich das Stück der Chlorprobe unterworfen. Kaum berührt, verschwand die Tinte. Daraus habe ich die Fälschung erkannt, das Stück musste mit frischer Tinte geschrieben sein, sonst hätte das Chlor nicht so schnell gewirkt.
Bei Schriften, die vor etwa 150 Jahren geschrieben worden sind, ist die Tinte eingetrocknet, und es braucht geraume Zeit, bis das Chlor wirkt.
Zum Schlusse möchte ich noch erwähnen, dass manche berühmten Gedichte zu Geschenkzwecken mehrfach von den Dichtern geschrieben wurden, wie z. B. Uhlands "Der gute Kamerad" und "Der Schenk zu Limburg", Eichendorffs "In einem kühlen Grunde", Hoffmann von Fallerslebens Deutschlandlied und viele Andere mehr. Der Sammler braucht deshalb nicht ängstlich zu werden, wenn er hört, daß das in seinem Besitz befindliche Stück auch noch in einer andern Sammlung vertreten ist.
Der Kauf von Autographen bei Händlern bietet eine vorzügliche Garantie für die Echtheit, denn die Stücke gehen durch die Hände von sehr erfahrenen und erprobten Leuten, die das Verdächtige ausscheiden. Wohl können sich natürlich auch die Händler irren, doch ist die Gefahr bei ihnen bei weitem nicht so groß, als beim Kauf von Privaten, und außerdem wird die Echtheit der Stücke gewöhnlich durch die Händler garantiert.
Jedenfalls soll man sich durch die Furcht vor Fälschungen nicht die Sammelfreudigkeit verderben lassen, immerhin darf man diese Frage nicht leicht nehmen, aber, wie bei allem, erhöht das Studium und die Forschung gerade den Reiz und das Interesse am Sammeln, denn jeder richtige Sammler muß zugleich auch in gewissem Sinne Forscher sein.
Auch für Autographen-Sammler soll der bewährte Satz gelten:
"Und die Moral von der Geschicht,
In Zweifelsfällen kaufe nicht!"
Fälschungen und Täuschungen. Von Karl Geigy-Hagenbach / Basel. In: Der Autographen-Sammler. Eine monatlich erscheinende Katalogfolge des Hauses J. A. Stargardt, Berlin. Jg. 2, Nr. 7 und 9, Dezember 1937 und Februar 1938.
Mit freundlicher Genehmigung der Firma J. A. Stargardt, Berlin.
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